Ein Kolloquium beleuchtet Heiligenverehrung in Ost und West. Von Claudia Kock
Weites Land, Wiesen und Wälder, dazwischen traditionsreiche Städte und Dörfer, am Horizont die schneebedeckten Karpaten: Das ist Siebenbürgen im Nordwesten Rumäniens. Ehemals Teil des Habsburgerreiches, ist es von Rumänen, Ungarn und Deutschen sowie weiteren Minderheiten besiedelt, mit einer Vielzahl christlicher Konfessionen. Eine der größten Volksgruppen waren bis zur großen Abwanderungswelle in den 1980er Jahren die deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen mit ihrer Hauptstadt Hermannstadt. An der dortigen Evangelischen Akademie sowie an der Orthodoxen Akademie im Kloster Sambata de Sus fand vom 11. bis zum 14. Mai das Theologische Kolloquium „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“ statt, veranstaltet vom Deutsch-Rumänischen Institut für Theologie, Wissenschaft, Kultur und Dialog „Ex fide lux“, einer Initiative des ehemaligen Rektors der Diakonie Neuendettelsau Hermann Schoenauer, des früheren Leiters der Evangelischen Akademie Siebenbürgen Jürgen Henkel sowie des Rumänisch-Orthodoxen Metropoliten Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa. Als höchster Vertreter von katholischer Seite nahm der ehemalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, an dem Kolloquium teil.
„Fragt man einen evangelischen Christen nach dem Unterschied zwischen der eigenen Konfession und der katholischen Kirche, so lautet die Standardantwort: ‚Wir haben keinen Papst, und wir haben keine Heiligen‘“, so Jürgen Henkel bei der Eröffnung des Kolloquiums. Dies sei jedoch nur bedingt richtig, denn auch in der evangelischen Kirche gäbe es hoch geachtete Glaubenszeugen wie etwa Dietrich Bonhoeffer, und Heilige wie Martin von Tours oder Elisabeth von Thüringen seien konfessionsübergreifende Vorbilder. Daher lohne sich eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Heiligkeit auf ökumenischer Ebene.
Einen Überblick über das katholische Verständnis der Heiligkeit gab der Kapuziner Maximilian Pal von der Theologischen Hochschule der Franziskaner in Roman in der Moldau-Region. Die Verehrung der Heiligen, so Pal, ging in der antiken Kirche aus dem Totenkult hervor. Die ersten Heiligen waren die Märtyrer der Christenverfolgungen. Zwischen dem 6. und dem 12. Jahrhundert wurden Heiligsprechungen durch die jeweiligen Ortsbischöfe vorgenommen. Eine wichtige Voraussetzung war die „vox populi“ sowie eine bischöfliche Untersuchung über das Leben und eventuelle Wunder. Ab dem 10. Jahrhundert wurde es üblich, Heiligsprechungen vom Papst genehmigen zu lassen; 1234 ging das Recht zur Heiligsprechung allein auf den Papst über. Im Laufe der Zeit bildete sich eine kirchliche Gesetzgebung heraus, die die Kanonisierung regelt. Sie wurde im 18. Jahrhundert von Kardinal Prospero Lambertini, dem späteren Papst Benedikt XIV., in seinem Werk Über die Seligsprechung der Diener Gottes und die Heiligsprechung der Seligen zusammengefasst und ging so in den Codex des Kanonischen Rechtes von 1917 ein, der 1983 revidiert wurde. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es mehrere Päpstliche Schreiben zum Thema der Heiligkeit; das letzte ist das kürzlich veröffentlichte Apostolische Schreiben Gaudete et exsultate von Papst Franziskus. Durch die Selig- und Heiligsprechung bestätigt die Kirche, dass ein aus dieser Welt geschiedener Katholik sich im Himmel befindet und als Fürsprecher bei Gott öffentlich verehrt werden darf.
An eben diesem Punkt setzte Luthers Kritik an der Heiligenverehrung ein, wie der Bischofsvikar der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien, Daniel Zikeli, erläuterte. Von seinem Schriftverständnis her nahm Luther an, dass alle Getauften bin zum Jüngsten Gericht in ihrem Grab ruhen: daher sei eine Verehrung der Heiligen und sinnlos; sie könnten nicht als Fürsprecher agieren. Eine solche Annahme stünde auch er Rechtfertigungslehre entgegen, nach der Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist. Die „communio Sanctorum“ des Glaubensbekenntnisses verstand Luther nicht als die Gemeinschaft der Heiligen bei Gott im Himmel, sondern als die Gemeinschaft aller auf Erden lebenden Getauften. Diese seien kraft ihrer Taufe die wahren Heiligen, die ihnen zukommende Verehrung die Nächstenliebe. Den „toten Heiligen“, wie Luther sie nannte, komme daher höchstens eine Vorbildfunktion als Glaubenszeugen zu, weshalb einige von ihnen auch im evangelischen Kalender erhalten blieben.
Ein Heiliger sein zu wollen, schien Dietrich Bonhoeffer der falsche Weg zu sein, so der evangelische Theologe Peter Gemeinhard, „ein Christenmensch wollte er werden. Aber gerade dadurch wurde er zu einem der populärsten Märtyrer und Heiligen der evangelischen Kirche.“ Das evangelische Verständnis von Heiligkeit sei es, „uns selbst als seltsame Heilige zu erkennen“ und die Heiligen „nicht als perfekte Glaubenshelden, sondern als fehlbare, gerechtfertigte und aus dem Glauben standhafte Menschen zu erkennen“. In diesem Sinne „reflektieren sie Gottes Liebe zu uns, die sich in konkreten Menschenleben zeigt“.
In der Orthodoxie gelten die Heiligen wie in der katholischen Kirche als Fürsprecher bei Gott. Dies widerspreche nicht der einzigen Mittlerschaft Christi, so Irimie Marga, Dozent für orthodoxe Theologie an der Universität Hermannstadt, denn „Heilige erlösen uns nicht, sie sind uns gegenüber nur barmherzig: Sie treten aus Liebe als Mittler für uns gegenüber Christus auf, doch die Erlösung kommt allein von Gott, dem Vater, durch den Sohn im Heiligen Geist“. Eine große Rolle spielt dabei der Reliquienkult: Auf der Grundlage von Apg. 19,11-12 ist die Orthodoxie der Überzeugung, dass durch materielle Dinge wie Reliquien oder Ikonen eine besondere Gnade übermittelt werden könne.
Dass dies zu einer mystischen Überhöhung der Reliquien führen kann, wurde im Vortrag des orthodoxen Erzbischofs von Tomis (Konstanza), Theodosie Petrescu, deutlich: Als bei Grabungen in Adamclisi in der historischen Region Dobrudscha die Gebeine von Märtyrern aus der Verfolgung unter Kaiser Diokletian zutage kamen, hätten diese, so der Erzbischof, einen Wohlgeruch verströmt und golden geleuchtet, was auch die amerikanischen Ausgräbern, die Baptisten waren, zutiefst beeindruckt habe. Eine Tagungsteilnehmerin aus Deutschland berichtete dagegen am Rande des Kolloquiums, sie habe diese Ausgrabungen besucht und eher Unmut unter den Archäologen erlebt, da die orthodoxe Kirche gleich nach dem Auffinden der Gebeine das Territorium zu „heiligem Grund“ erklärt und dadurch weitere Grabungen verhindert habe.
Besondere Intensität erhalte die Anteilnahme der Gläubigen an der „Schönheit und Ehre der Heiligen“ dadurch, dass man sich „ihren vergeistlichten, verklärten Antlitzen in der Darstellung der Ikonen annähern“ könne, so der orthodoxe Metropolit von Siebenbürgen Laurentiu Streza. Ebenso wie die Heilige Schrift durch ihre Worte das Heilswerk in der Geschichte zeige, „so zeigt die orthodoxe Ikonographie in Bildern und Farben dasselbe erlösende Werk Gottes in der Geschichte an seinen Heiligen.“ Die im Gottesdienst verwendeten Ikonen der Heiligen „erinnern die betende Kirche daran, dass Christus in ihrer Mitte gegenwärtig ist“.
Berthold Pelster von „Kirche in Not“ gab einen erschütternden Überblick über die derzeitigen Christenverfolgungen und Märtyrer in aller Welt, um auf die „desolate Lage der Religionsfreiheit“ hinzuweisen, deren „dramatische Dringlichkeit“ Papst Benedikt XVI. schon im Jahr 2011 betont hatte. Bereits 2007 hatten Vertreter der katholischen, orthodoxen und evangelischen Kirche in Rumänien dem Papst ein „Rumänisches Martyrologium“ überreicht, in dem die Blutzeugen aller drei Konfessionen aus der Zeit der kommunistischen Gewaltherrschaft verzeichnet sind, wie der evangelische Theologe Hermann Pitters von der Universität Hermannstadt erläuterte.
Das warf bei den Teilnehmern am Kolloquium die Frage auf, in wieweit die Märtyrer des 20. Jahrhunderts tatsächlich aus Glaubenshass oder nicht vielmehr als politische Gegner getötet wurden. Pitters sagte, es sei wichtig dies zu unterscheiden. Zwar gäbe es auch politische Märtyrer, denen große Achtung gebühre, aber diese könnten nicht als Heilige betrachtet werden. Ein christlicher Märtyrer sei nur, wer aufgrund seines Glaubenszeugnisses getötet wurde, und dieses Glaubenszeugnis müsse auch dokumentiert sein. Kardinal Gerhard Ludwig Müller fügte hinzu, dass das Kreuz Christi das entscheidende Kriterium sei: Märtyrer sei nicht, wer sich ganz allgemein für die Menschenrechte einsetze, sondern wer dies von Christus her, in der Nachfolge Christi tue. „Wer ein Märtyrer ist, dürfen wir nicht die Verfolger entscheiden lassen“, so Müller.
In seinem eigenen Vortrag sprach der Kardinal über die Heiligen als Zeugen der Einheit der Kirche. Nehme man die neutestamentlichen Perspektiven des Kirchenverständnisses ernst und kläre sie im Licht ihrer geschichtlichen Entwicklungen, dann sei „die Verehrung der Heiligen und die katholische Praxis, sie wegen der betenden Gemeinschaft mit ihnen um ihre Fürbitte anzurufen, keine dogmatisch trennende Differenz mehr, derentwegen eine Kirchentrennung begründet werden könne.“
Auch evangelische und orthodoxe Tagungsteilnehmer bewerteten die Vertiefung des Themas der Heiligkeit als förderlich für die Ökumene. Dagmar Heller, Referentin für Orthodoxie am Konfessionskundlichen Institut Bensheim, sagte am Rande der Tagung, es sei „ein gutes Thema ist für die weitere ökumenische Zusammenarbeit, weil es nicht so sehr im Vordergrund dessen steht, warum die Kirche sich gespalten hat. Es gibt keinen großen Graben bei diesem Thema“ und Alexandru Nan, Dekan der rumänisch-orthodoxen Kirche in Bayern, fügte hinzu: „Es ist das Gebot der Stunde, dass die Kirchen im Westen und im Osten zusammenarbeiten. Das stärkt das Christentum, und wir legen in dieser säkularisierten Welt ein Zeugnis ab.“ Dazu kann Elmar Nass von der Wilhelm-Löhe-Hochschule in Fürth zufolge die Erarbeitung einer hagiologischen Ethik beitragen, um „einladende Christlichkeit wieder missionarisch wirksam werden zu lassen“, durch „Menschen, die sich an den Heiligen als Vorbilder orientieren und ein entsprechendes Ethos dreifacher Liebe verinnerlichen.“
Wichtig sei es, dass die Kirche, so Kardinal Müllers Resümee zum Kolloquium gegenüber der „Tagespost“, „positiv zugeht auf die große Herausforderung der Gegenwart: den Materialismus, den Säkularismus. Dort wird der Sinn des menschlichen Lebens sozusagen auf den Lebensgenuss, den Konsum reduziert, ohne dass die höheren Ziele, die Würde des Menschen, seine göttliche Berufung ins Auge gefasst wird. Deshalb ist dieses gemeinsame Zeugnis von der Würde des Menschen wichtig: dass der Mensch nur zu sich selbst kommt, wenn er sich über sich selbst hinaustraut und Gott als den Urheber, den Schöpfer des Seins, der Welt und des Menschen erkennt, der in Jesus Christus als unser Erlöser gekommen ist.“